Der Weihnachtsrabe Teil 2

Brr, war das kalt! Hatte sich der kleine Weihnachtsrabe zuerst noch über die Kraft des Windes gefreut, die ihn höher und höher trug, so kroch doch langsam die Kälte durch seine Daunenfedern und er blickte nach unten auf die immer kleiner gewordene Stadt, um ein warmes Plätzchen für die Landung zu erspähen.
Noch nie war ihm aufgefallen, wieviele Türme und alte Gebäude es dort gab, mit hohen Giebeln und Mauernischen, in denen ein kleiner Rabe durchaus Unterschlupf finden könnte. Hell und Wärme verheissend strahlte das Licht aus den vielen Fenstern und angelockt davon stürzte sich der kleine Rabe kopfüber hinunter.
Doch was war das? Plötzlich riss ihn eine Windböe, nein eigentlich war es eine Sturmböe so stark war sie, wieder empor und trug ihn immer weiter fort an den Rand der Stadt, immer kleiner und schwächer wurden die Lichter und so fest der kleine Rabe auch dagegen anflatterte, er wurde mitgerissen und konnte letztendlich nur noch darauf achtgeben, nicht vollends die Orientierung zu verlieren.
Genauso plötzlich wie die Böe ihn erfasst hatte, liess sie auch wieder von ihm ab und erschöpft segelte der kleine Rabe gen Erdboden. Komisch, hier am Rande der Stadt waren plötzlich keine hellen Lichter mehr zu sehen, öd und trüb sah es rund um ihn aus, nur ein altes Schild, schief mit einem Nagel an einem Pfosten hängend, stand neben einem entlaubten Gestrüpp.
Neugierig hüpfte der kleine Rabe näher und versuchte die verwitterte Schrift zu entziffern. „Ser, servi, ach doof, in der Mitte kann man die Buchstaben garnicht mehr entziffern; -wüst… oder was soll das am Ende heissen?“ Ungeduldig hüpfte der kleine Rabe vor dem Schild hin und her und versuchte, ob er aus einem anderen Blickwinkel mehr erkennen könnte.
Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er blieb entsetzt und starr vor Schreck stehen; das musste es sein, so oft hatte er die Gespräche der anderen Raben belauscht, wenn sie sich heimlich und verstohlen, ja fast mit Verschwörermiene über diesen Ort unterhalten hatten. Natürlich, wie konnte er so blind sein um den Namen nicht gleich zu erkennen. Schon der Anblick dieser leeren und öden Örtlichkeit hätte ihn darauf bringen können: er stand am Rande der Servicewüste, einem ungemütlichen und trostlosen Gebiet, das sich seit seiner Landung schon um einige Meter ausgebreitet haben musste, denn als er sich umdrehte, waren die Lichter der kleinen Stadt in weite Ferne gerückt.
Erst jetzt bemerkte er den Nebel, der ihn umwaberte und die Gegend nur noch schemenhaft erscheinen liess. Bei diesen Bedingungen war ein Davonfliegen unmöglich, aber da die Kälte nicht nachgelassen hatte beschloss der kleine Rabe, seine Reise zu Fuss fortzusetzen.

Ohne genau zu wissen, in welche Richtung er hüpfen sollte, machte er sich auf den Weg und bald konnte er trotz Nebel ein paar staubgraue Fassaden erspähen; je näher er kam, desto größer wuchsen sie aus dem Nebel empor und er erkannte plötzlich, dass er sich wieder in der Stadt befand. Aber war es auch wirklich seine Stadt, die er kannte, wo seine Rabengeschwister unterwegs waren und wo er wusste hinter welchen Fenstern er willkommen war?

Vorsichtig näherte er sich dem am nächsten liegenden Gebäude, hüpfte auf den Fenstersim und spähte hinein. Und tatsächlich, im Innern konnte er einen Raben erkennen, wie er seinen Dienst versah. Aber wie kläglich war dieser Anblick! Niedergedrückt und verstaubt sass er in einem zugigen Eingang, von den meisten mit Nichtbeachtung gestraft stierte er stumpf vor sich hin. Wenn er gelegentlich sein Federkleid schüttelte schien es daraus zu stauben und auch das Krächzen, dass er manches Mal zur Mahnung ausstiess hörte sich staubtrocken an.
Der kleine Rabe zuckte zurück, als der Staubrabe plötzlich in seine Richtung blickte, ganz so als hätter er den heimlichen Beobachter am Fenster gespürt.
Doch der Rabe schien ihn nicht entdeckt zu haben und so fuhr der kleine Rabe fort, neugierig hineinzuspähen.
Kein Weihnachtsschmuck, nicht der kleinste Hinweis auf diese freudige Zeit, auch auf dem Fenstersims waren keine Körner gestreut, wie es sonst so oft in der Stadt Brauch war.
Trist sah der Raum aus, kaum Farbe schien in ihm vorhanden zu sein, fraglich ob es jemals Farbe gegeben hatte. Die einzige Grünpflanze schien sich ihrem Schicksal ergeben zu haben und hing ebenfalls traurig und staubbedeckt von einem Regal herunter.
Brr, den kleinen Raben schüttelte es innerlich, was für ein ungemütlicher Ort! Jetzt konnte er verstehen, wieso die anderen Raben sich nur flüsternd darüber unterhalten hatten. Gerade wollte er unbemerkt davonhüpfen, da stiess er mit seinem Schnabel gegen eine weiche Federwand. Erschorcken blickte er nach oben und genau in die mausgrauen Augen des alten Raben, den er gerade noch heimlich beobachtet hatte.
„Was haben wir denn da?“ Krächzte der und zog den kleinen Raben an seinen Federn vom Sims herunter und durch die nebenan einen Spalt weit geöffnete Tür ins Innere. „Ach nein, ein Jungrabe! Wohl verflogen oder was?“ Mit einer mürrischen Geste wies der alte auf das verstaubte Katheder, wo er Minuten zuvor noch unbeweglich gesessen hatte. „Na glaub ja nicht, nur weil du frisch von draussen kommst, du könntest hier alles verändern! Hier wird alles so gemacht wie es schon immer gemacht wurde!“ Die Stimme des alten Raben krächzte genauso rostig und schrill wie eine lange nicht mehr geölte Tür. „Denkst Du, Du kannst mich hier heimlich beobachten und dann alles besser machen? Sitz du erstmal hier ein paar Jahre , dann wirst du schon….“
Der alte Rabe brach seine Tirade abrupt ab, als er bemerkte, dass dem kleinen Raben zum Heulen zumute war. Schluchzend krächzte dieser „Aber ich will hier doch garnicht…, ich gehöre doch in die Stadt, ich… ich…“ Als er bemerkte, dass es um ihn herum still geworden war, blickte er auf, nahm seinen ganzen Mut zusammen und krächzte „Ich bin nicht freiwillig hier, ich bin nur vom Sturm hierhergeweht worden, wär hält es denn hier schon aus? Alles alt und verstaubt hier, keine Farbe, nichts zum Wohlfühlen und sie, sie sind wirklich nicht gerade nett, wenn ich das mal bemerken darf!“
Bei dieser letzten Bemerkung duckte sich der kleine Rabe geschwind und brachte sich mit einem schnellen Hopser vom Katheder in sichere Entfernung vor eventuellen Schnabelhieben.
„Ja was erlaubst du dir denn? Das ist schon immer so gewesen und nie hat sich jemand beschwert!“ Empört hüpfte der alte Rabe auf seinem Katherder hin und her, schüttelte sein Gefieder und geriet immer mehr in Rage. Ihn, den altgedienten Raben und seine Arbeit, die er seit Jahrzehnten immer nach den genau gleichen Regeln verrichtete anzugreifen. Und dann noch von einem Jungraben, der definitiv noch nicht ganz trocken hinter den Federn war!

Gerade, als er zu einer längeren Grundsatzrede anheben wollte, flatterte der kleine Rabe auf, streifte dabei die Grünpflanze und setzte sich mitten hinein auf das nächste Regal.
Erstaunt sah der alte Rabe, wie durch die Berührung des kleinen Raben der Staub auf der Grünpflanze in Bewegung geriet und wie eine kleine Staublawine auf den Boden rieselte. Auch im Regal war Bewegung eingekehrt, denn der kleine Rabe schlug heftig mit den Flügeln und sah kurz darauf aus wie ein Engel, so weiss war er über und über mit dem aufgewirbelten Staub bedeckt. Ein kräftiger Nieser war die Folge. „Pitschü“, der kleine Rabe schüttelte sich, was eine erneute Staubwolke zur Folge hatte. Aber da, war da nicht auch ein kleiner Hauch von Gold, das die Wolke durchzog und glitzernd mit zu Boden fiel?
Verwundert legte der alte Rabe den Kopf zur Seite und fragte sich, ob es nicht doch zu lange schon her war, dass er das letzte Mal auf diesem Regal mit den Flügeln geschlagen hatte. Erinnerungen kamen ihm wieder iniden Sinn von früheren Zeiten, als noch mehr Leben um hin herum gewesen war, die Grünpflanzen noch Blüten trugen und das Innere dieses Raumes von fröhlichen Farben geziert war.
„War wirklich alles so verstaubt, wie es der kleine Rabe ihm gezeigt hatte? Gab es da vielleicht doch noch etwas anderes, etwas, das hinter der Staubschicht in dem Glitzern versteckt war?“
Den kleinen Raben schien der alte schon ganz vergessen zu haben, denn verträumt hatte er wieder auf seinem Katheder Platz genommen, um mit leisem wohligen Gekrächze seinen Gedanken nachzuhängen.
Diese Gelegenheit ergriff unser Weihnachtsrabe, schlug ein paar Mal mit den Flügel, kreiste ein zweimal über dem Katheder und verschwand durch den schmalen Spalt der Eingangstür.
Über dem Kopf des alten Raben sank noch etwas Goldstaub hernieder und als der kleine Rabe noch einmal von aussen durch das Fenster blickte, sah er den alten Raben zärtlich über die Grünpflanze gebeugt, wie er an deren Blättern pickte und sie von Staub befreite……

Fortsetzung folgt

Eine Antwort zu “Der Weihnachtsrabe Teil 2

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